Verschollen

Woher kommt eigentlich der Begriff „verschollen“? So fragten wir uns neulich beim Mittagessen.  Mmh. Klar, es sagt aus, dass jemand oder etwas mit unbekanntem Ziel verschwunden ist. Und es handelt sich um Partizip Perfekt Passiv.
Es hat nichts mit dem platten Fisch zu tun – aber vielleicht mit gefrorenem Wasser? Dass früher Seeleute auf einer Eisscholle davontrieben auf Nimmerwiedersehen? Nicht wirklich überzeugend.

Und wie lautet überhaupt die Grundform, das dazu passende Verb? Nachdenken brachte uns nicht weiter, es musste das etymologische Wörterbuch befragt werden (wahlweise Google, aber manchmal bin ich etwas altmodisch).

Siehe da: das „starke 2. Partizip des ungebräuchlichen Verbs verschallen (vgl. Schall) […] gilt seit Ende des 18. Jh.s als gerichtl. Ausdruck: verschollen ist, von wem man seit langem nichts mehr gehört hat und wer sich auf wiederholte öffentl. Aufforderung nicht meldet.“ Und dann kam mir auch die alte Gedichtzeile von Fontane in den Sinn:      
„Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll…“

Heute wird das Verb schallen in der unvollendeten Vergangenheitsform statt in der starken Form „scholl“ in der schwachen Form „schallte“ gebeugt: „Musik schallte vom Festplatz herüber.“ Da ist der Bezug zu „verschollen“ kaum noch erkennbar. Aber sollte mal wieder mein Geldbeutel verschwunden sein, werde ich ihn mehrfach öffentlich auffordern, sich zu melden, bevor ich ihn als verschollen bezeichne.

Eine Frage des Geschlechts

Lesedauer: 3 Minuten

Schon als Kind habe ich James Krüss geliebt. Das Buch „Mein Urgroßvater und ich“ hat mir erste Einblicke in die Schönheit und Kraft von Wörtern gegeben (die viel mehr sind als Schall und Rauch). Besonders angetan hatte es mir die Geschichte von den Wipp-Wapp-Häusern, die erzählt, wie Sprachgelehrte aus aller Welt versuchten, sinnvoll das grammatikalische Geschlecht (Genus) für die Wörter ihrer Muttersprache festzulegen.

Der Engländer zum Beispiel machte es sich einfach und legte fest, dass alles „the“ heißt. Der chinesische Abgesandte (und mit ihm einige andere) ließ den Artikel ganz weg, denn „weise Leute wüssten von selbst, ob ein Hauptwort männlich, weiblich oder sächlich sei“. Die Italiener, Franzosen, Spanier und Portugiesen und etliche andere Sprachgelehrte einigten sich auf nur zwei Geschlechter und waren ebenfalls schnell fertig.

Zu guter Letzt blieben die deutschsprachigen Vertreter übrig, und es begann eine intensive Diskussion (beispielsweise hier nachzulesen) über jedes einzelne Wort. Jedes behandelte Wort wurde dabei auf einen Stein geschrieben und in einen von drei Körben geworfen. Dabei war es eigentlich so gedacht, dass die Verteilung der Wörter auf die Geschlechter gleichmäßig erfolgen sollte (denn man befand sich auf einer riesigen Wippe, dem Überrest des Babylonischen Turmes), aber hin und wieder kam es vor, dass ein Korb ein gefährliches Übergewicht bekam, und so landeten – um einen Absturz zu verhindern – auch immer wieder Wörter aus dem gleichen Zusammenhang in ganz unterschiedlichen Körben. Und nur so ist es zu erklären, dass es im Deutschen bis heute der Mund, die Nase, das Auge sowie das Ohr, der Hals und die Stirn heißt.

Als Kind fand ich das absolut einleuchtend. 🙂

Aber da ich es liebe, Regelmäßigkeiten und Muster zu erkennen, habe ich mich damit doch im späteren Leben nicht zufrieden gegeben und doch ein paar Regeln gefunden, nach denen man mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit (Ausnahmen bestätigen dabei fast immer die Regel) das Geschlecht eines Wortes an seiner Endung erkennen kann.

So ist es recht wahrscheinlich, dass es sich bei Worten mit der Endung –ling (der Frühling), -ich oder –ig (der Teppich, der König), auf –el (der Vogel), -er (der Lehrer) oder -us (der Korpus) um maskuline Worte handelt.  

Ebenfalls hohe Trefferquoten erzielt die Annahme, dass man bei Worten mit den Endungen –ung (die Heizung), –schaft (die Belegschaft), –heit/-keit (die Gesundheit, die Fröhlichkeit), –tät (die Universität) und –ik (die Musik), –anz/-enz (die Akzeptanz, die Essenz), -ie (die Phantasie) und -e (die Flasche – prominente Ausnahmen: der Drache und das Auge) feminine Worte vor sich hat.

Typisch wiederum für neutrale Nomen sind die Endungen –um (das Universium), –ment (das Experiment) und –ma (das Thema) sowie immer die Verniedlichungsendungen -chen/-lein (das Mädchen, das Schneiderlein). Auch substantivierte Verben (das Sitzen, das Schreiben) sind immer sächlich.

Warum es aber die Uhr, der Stein oder das Buch heißt, ist ein weites Feld für Sprachforscher und Etymologen. Und ob das einen Einfluss auf die Wahrnehmung hat, weil wir unbewusst diesen Gegenständen entsprechend weibliche oder männliche Attribute zusprechen, hat sogar schon Forscher interessiert.

Bemerkenswert finde ich allerdings, dass im Deutschen im Gegensatz zu vielen Sprachen drumherum die Sonne weiblich und der Mond männlich ist.

Dies und das

Lesedauer: 1 Minute

Oder lieber dieses und jenes? Inhaltlich mag das kaum einen Unterschied machen. Der Teufel steckt hier im grammatikalischen Detail, und zwar in der Beugung, also wie sich die beiden Pronomen ändern, wenn z.B. von diesem und jenem die Rede ist. Und da gibt es einen großen Unterschied: Während dieser, diese, dieses analog zum bestimmten Artikel der, die, das durch die Fälle wandert, wird jener, jene, jenes wie ein Adjektiv behandelt.

Fall Der, die, das Dieser, dieses, dieses Jener, jene, jenes
Nominativ Der, die, das Dieser, dieses, dieses Jener, jene, jenes
Genetiv Des, der, des Dieses, dieser, dieses Jenen, jener, jenen
Dativ Dem, der, dem Diesem, dieser, diesem Jenem, jener, jenem
Akkusativ Den, die, das Diesen, diese, dieses Jenen, jene, jenes

Na gut, wenn man sich die Tabelle anschaut, sieht das doch trotzdem alles ziemlich ähnlich aus – warum schreibe ich also darüber?

Fall Der, die, das Dieser, dieses, dieses Jener, jene, jenes
Nominativ Der, die, das Dieser, dieses, dieses Jener, jene, jenes
Genetiv Des, der, des Dieses, dieser, dieses Jenen, jener, jenen
Dativ Dem, der, dem Diesem, dieser, diesem Jenem, jener, jenem
Akkusativ Den, die, das Diesen, diese, dieses Jenen, jene, jenes

Wegen des einzigen, aber häufig falsch verwendeten, Unterschieds im männlichen und sächlichen Genetiv Singular: Korrekt muss es heißen zu Beginn dieses Jahres und nicht zu Beginn diesen Jahres. Eben darum, weil es auch heißt zu Beginn des Jahres (und nicht zu Beginn den Jahres).
Achtung, und da wird es gemein: Spricht man über das Vorjahr, heißt es korrekt zu Beginn letzten Jahres (weil letzter ein Adjektiv ist und eben als solches und nicht wie ein Artikel gebeugt wird). Fügt man hier den ausgelassenen Artikel ein, wird es klarer: zu Beginn des letzten Jahres.

Das Maß aller Dinge

Lesedauer: <1 Minute

Ups, da habe ich doch neulich geschrieben, „dass generell bei Maßeinheiten nicht die Mehrzahl verwendet wird“. Meine Beispiele waren Hektar, Meter, Kilogramm oder Euro.

Tatsächlich habe ich dann mal die Grammatikregel 90 in meinem Duden nachgelesen und fand mich einerseits bestätigt, dass Maß-, Mengen- und Währungsbezeichnungen allgemein nicht gebeugt werden. Aber andererseits las ich die Erklärung einer Ausnahme, auf die ich auch schon beim Überprüfen meiner Behauptung gestoßen war: „Weibliche Bezeichnungen, die auf -e enden, werden immer gebeugt“. Deshalb heißt beispielsweise zwei Tonnen oder 100 norwegische Kronen. Aber es bleibt bei 20 Dollar, 5 Grad Außentemperatur oder 10 Paar Schuhen.

Und manchmal entstehen in der Alltags- und Umgangssprache ganz eigene Pluralbildungen: Der Euro bekommt nicht nur gerne mal als Euros ein -s angehängt, wenn es um mehrfaches Vorhandensein geht, sondern salopp spricht man auch schon mal von Euronen.

(M)ein monatliches Ärgernis

Lesedauer: <1 Minute

Eigentlich ist es ganz einfach: Es gibt eine Regel und sie gilt tatsächlich ohne Ausnahme (und das ist, gerade für Sprachen und speziell für die deutsche, wirklich ziemlich außergewöhnlich!).

Die Regel lautet:  Für alle Zeiteinheiten von der Sekunde bis zum Jahr gilt, dass die Endsilbe -lich die Frequenz und die Endsilbe -ig die Dauer eines Ereignisses angibt.

Wenn vom täglichen Wetterbericht oder von der 14-tägigen Reise die Rede ist, verwendet das jeder intuitiv korrekt (und die meisten vermutlich ohne näher darüber nachzudenken). Auch das zehnjährige Kind oder die stündliche Abfahrt sind recht geläufig. Der 30-sekündige Werbespot ist da vielleicht schon seltener. Und dass jemand, der sehnlichst erwartet wird, sekündlich eintreffen kann, denken vermutlich die wenigsten.

Ins Stolpern geraten jedoch viele, wenn es um regelmäßige Termine gibt, die z.B. alle zwei Wochen stattfinden: Dann steht da oft 14-tägig. Aber das würde eben – siehe oben – eine Veranstaltungslänge von 14 Tagen bedeuten und nicht die Wiederholung der Veranstaltung nach 14 Tagen. (Was bei Reisen durchaus üblich ist, beim Skatabend eher weniger.)

Wem 14-täglich aber trotzdem schwer über die Lippen geht, weil es so ungewohnt ist, kann entweder den Turnus erhöhen (bei wöchentlichen Veranstaltungen ist eine Verwechslung mit einwöchigen Veranstaltungen nahezu auszuschließen;-). Oder er verwendet alternativ die Redewendung alle xx Tage/Wochen/Monate.

Jeden Morgen geht die Sonne auf

Lesedauer: 2 Minuten

Jeden Morgen geht die Sonne auf

Oft stolpere ich über Merkwürdigkeiten der deutschen Sprache beim Formulieren neuer Texte. So wollte ich mich neulich über das montägliche Gejammer zum Beginn der neuen Woche aufregen (hat man nicht eindeutig den falschen Beruf, wenn der Start in die Arbeitswoche immer so schrecklich ist – und sollte man dann nicht lieber daran etwas ändern als darüber zu lamentieren? Aber das wäre ein Thema für einen eigenen Beitrag…).

Kein Plural von Morgen?!

Jedenfalls wollte ich schreiben, dass ich mich schon viele Morgen darüber geärgert hätte. Und dann bin ich an dem Wort „Morgen“ hängen geblieben, das sich im Plural sehr seltsam anhörte und -fühlte. Und tatsächlich: Ich kann problemlos von „allen Tagen“ oder „den meisten Abenden“ schreiben, aber „an allen Morgen“ ist seeehr – ungebräuchlich. Ich habe dann im Duden nachgeschlagen: Es ist nicht falsch, es gibt einen Plural von Morgen und er lautet „die Morgen“ – aber aus dem Sprachgebrauch ist er völlig verschwunden. (Oder er war nie drin, das habe ich noch nicht herausgefunden.)

Auch das Flächenmaß „Morgen“ war in Deutschland nur bis vor etwa 120 Jahren gebräuchlich. Tatsächlich beruht die Festlegung der Einheit darauf, welche Fläche mit einem einscharigen Pferdepflug an einem Vormittag gepflügt werden kann. Und dies war – je nach Beschaffenheit des Bodens – recht unterschiedlich, zwischen etwa einem Viertel und einem halben Hektar. Im Zusammenhang mit „drei Morgen Land“ klingt der Plural auch nicht ungewöhnlich im Ohr – generell werden Maßeinheiten ja nicht in der Mehrzahl verwendet, sondern es heißt (fast) immer Meter, Kilogramm oder Euro.

Zurück zur Tageszeit, um die es eigentlich in diesem Beitrag gehen soll. Es gibt natürlich Möglichkeiten, zumindest Regelmäßigkeiten am Morgen auszudrücken: Durchaus üblich ist die Wendung jeden Morgen oder immer morgens.

Generell habe ich hier übrigens über „der Morgen“ geschrieben. „Das Morgen“ als Synonym für die Zukunft gibt es tatsächlich nur im Singular – genauso wie das „das Gestern“ und „das Heute“.

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