Ups…

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Mit meinen Kund*innen diskutiere ich schon seit einiger Zeit die korrekte Ansprache und Benennung von weiblichen und männlichen Kontakten – und habe nun mit Erschrecken festgestellt, dass ich selbst seit Jahren ganz selbstverständlich in meinem Claim die (größere) Hälfte der Bevölkerung ausklammere: „Damit aus Lesern Versteher werden„. 😮
Ja, auch ich habe früher immer damit argumentiert, dass ich die weibliche Form nicht brauche und mich trotzdem mitgemeint fühle (schließlich fühl(t)e ich mich als emanzipierte und moderne Frau). Bis ich vor knapp zwei Jahren in einem Frauennetzwerk aktiv wurde und gemerkt habe, wie angenehm es ist, immer als Frau angesprochen zu werden. Und dass es eine andere Sichtbarkeit bedeutet.
Denn: Das Gehirn versucht, jedes gelesene oder gehörte Wort mit Bildern zu verknüpfen. Es kann gar nicht ohne Bilder denken. (Versuchen Sie jetzt mal, NICHT an einen rosa Elefanten zu denken… Dazu habe ich sogar einen eigenen Post geschrieben.) Und wenn das Gehirn „Ärztin“ hört, erscheint eben (für den Bruchteil einer Sekunde) vor unserem inneren Auge ein anderes Bild als beim Wort „Arzt“, bei der „Köchin“ ein anderes Bild als beim „Koch“.

Seitdem setze ich mich dafür ein, die weiblichen Rollen auch in der Sprache sichtbar zu machen. Denn Sprache ist verräterisch, sie wird geformt nach dem, was den Menschen wichtig ist. Ob es für bestimmte Eigenschaften, Umstände oder Situationen ein eigenes Wort gibt, lässt erkennen, ob dieses so wichtig ist, dass man es nicht umständlich umschreiben will, sondern einen eigenen Begriff dafür (er)findet. So war es in der bäuerlichen Gesellschaft wichtig, bei den Nutztieren nach Männlein und Weiblein zu unterscheiden, beim Huhn nach Hahn und Henne, beim Schwein nach Sau und Eber. (Und bei manchen männlichen Tieren wurde sogar noch genauer hingeschaut, ob sie sich noch fortpfanzen können: Bei Pferden gibt es nicht nur Stute, sondern eben auch Hengst und Wallach, bei Rindern neben der Kuh den Stier und den Ochsen. Weil es wichtig war, im Hinblick auf Temperament und damit Nutzbarkeit des Tieres einerseits und Zuchtmöglichkeiten andererseits.)

Sichtbar im öffentlichen Leben waren über Jahrhunderte der Bäcker, der Metzger (je nach Region auch Schlachter oder Fleischer), der Müller und der Bauer. Die Frauen dahinter blieben im Haus und waren damit wenig präsent – auch in der Sprache.
Wirklich interessant wird es , wenn man sich auf die Suche nach explizit weiblichen Berufsbezeichnungen begibt: Hebamme, Krankenschwester, Prostituierte, Putzfrau und Zimmermädchen. Das waren über ähnlich lange Zeiträume die einzigen Berufe, in denen ausschließlich Frauen tätig waren. Und damit waren sie auch sichtbar und „verdienten“ eine eigene Bezeichnung.

Deshalb ist es jetzt dringend an der Zeit, der Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit die Sichtbarkeit in der Sprache (und damit im Gehirn aller Rezipient*innen) folgen zu lassen. Durch explizite Erwähnung von Ingenieurinnen, Medizinerinnen, Dachdeckerinnen und Mechanikerinnen.

Und was bedeutet das jetzt für meine Unterzeile? Ich gebe zu: „Damit aus Leser*innen Versteher*innen werden“ ist nicht mehr kurz, prägnant und sprachlich elegant. Dazu konnte ich mich nicht durchringen. Auch den Partizipialkonstruktionen bringe ich nur begrenzte Begeisterung entgegen: „Damit aus Lesenden Verstehende werden“ ist ähnlich sperrig. Und schließlich bin ich nicht nur eine Frau, sondern auch Sprachliebhaberin. Aber wie so oft kann man mit ein bisschen Nachdenken und Kreativität auf gute Lösungen kommen. Deshalb biete ich jetzt meine Arbeit an, „damit aus Lesen Verstehen wird“.

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