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Wer von seinen Lesern verstanden werden will, sollte so konkret wie möglich schreiben. Denn ganz automatisch und unbewusst versucht das Gehirn beim Lesen alle aufgenommenen Wörter in Bilder zu übersetzen. Und je besser und genauer die Bilder sind, die im Lesergehirn erzeugt werden, umso einfacher wird der Inhalt behalten und verstanden.
Fun fact am Rande: Für das Wort „nicht“ gibt es kein Bild – deshalb bleibt im Gehirn bei Aufforderungen oder Anweisungen mit „nicht“ eher positive Aussage hängen als dessen Verneinung. So ist es erfolgversprechender zu rufen: „Steig auf die dicken Zweige!“ statt zu sagen „Steig nicht auf die dünnen Zweige!“.
Dabei scheint der Trend im Zuge von Political Correctness zu immer mehr Abstrahierungen und Verallgemeinerungen zu gehen. An Niederschlag, Erziehungsberechtigte und Studierende haben wir uns im Wetterbericht, Mitteilungen der Schule und Nachrichten gewöhnt. Und trotzdem erzählen wir Freunden eher vom Wolkenbruch, regen uns über unfähige Mit-Eltern auf oder lästern über Studenten, die bis mittags schlafen.
Wunderbar verschleiern kann man Aussagen und Informationen durch Substantivierungen. Sehr beliebt sind sie z.B. als Stichworte in Meetingprotokollen. Doch mangelt es dann dort häufig an der konkreten Aufgabe (und niemand fühlt sich zuständig). Wurde nur notiert „Klärung der Dekoration“, weiß nach zwei Wochen schon niemand mehr, ob das nun das Ergebnis oder das To-do war – und wenn letzteres, wer es eigentlich machen soll (geschweige denn bis wann und mit welchem Budget…). Zugegeben, mit entsprechende Spalten in der Protokollvorlage kann man sich helfen, aber was spricht gegen den einfachen Satz: „Uwe kümmert sich bis zum nächsten Treffen darum, dass das Budget für die Dekoration geklärt ist“? Das können sich dann sogar alle Teilnehmer ohne Protokoll merken. 😉
Substantivierungen werden aber auch gerne bei Meinungsmache und diffusen Behauptungen benutzt. So wie in der Überschrift des Artikels. Ich muss nicht sagen, wer tatsächlich die Sprache als Verkleidung benutzt (und die aktive Formulierung wenn Sprache sich verkleidet ist sogar falsch, denn wir Menschen benutzen ja die Sprache, nicht sie sich selbst). Ich behaupte das einfach, am besten noch als Passivkonstruktion, was immer eine gewisse Hilflosigkeit und Opferrolle signalisiert, und schon steht die Aussage in der Welt.
Die Steigerung wäre dann die Ergänzung Immer mehr, die suggeriert, dass sich da etwas (Ungutes) entwickelt. Diese Unart kommt leider aus dem Journalismus: Damit ein Thema eine Meldung wert ist, muss ein neuer Aspekt oder eine Veränderung benannt werden – denn wenn es genauso ist wie früher, ist es keine Nachricht wert.
„Iss, was gar ist, trink, was klar ist, sprich, was wahr ist“ soll Martin Luther geraten haben. Da ich hochprozentigen Schnaps überhaupt nicht trinke, würde ich es so umformulieren: „Iss, was gar ist, sprich, was wahr ist, schreib, was klar ist.“
Eine Antwort auf „Wenn Sprache als Verkleidung genutzt wird“