Eine Frage des Geschlechts

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Schon als Kind habe ich James Krüss geliebt. Das Buch „Mein Urgroßvater und ich“ hat mir erste Einblicke in die Schönheit und Kraft von Wörtern gegeben (die viel mehr sind als Schall und Rauch). Besonders angetan hatte es mir die Geschichte von den Wipp-Wapp-Häusern, die erzählt, wie Sprachgelehrte aus aller Welt versuchten, sinnvoll das grammatikalische Geschlecht (Genus) für die Wörter ihrer Muttersprache festzulegen.

Der Engländer zum Beispiel machte es sich einfach und legte fest, dass alles „the“ heißt. Der chinesische Abgesandte (und mit ihm einige andere) ließ den Artikel ganz weg, denn „weise Leute wüssten von selbst, ob ein Hauptwort männlich, weiblich oder sächlich sei“. Die Italiener, Franzosen, Spanier und Portugiesen und etliche andere Sprachgelehrte einigten sich auf nur zwei Geschlechter und waren ebenfalls schnell fertig.

Zu guter Letzt blieben die deutschsprachigen Vertreter übrig, und es begann eine intensive Diskussion (beispielsweise hier nachzulesen) über jedes einzelne Wort. Jedes behandelte Wort wurde dabei auf einen Stein geschrieben und in einen von drei Körben geworfen. Dabei war es eigentlich so gedacht, dass die Verteilung der Wörter auf die Geschlechter gleichmäßig erfolgen sollte (denn man befand sich auf einer riesigen Wippe, dem Überrest des Babylonischen Turmes), aber hin und wieder kam es vor, dass ein Korb ein gefährliches Übergewicht bekam, und so landeten – um einen Absturz zu verhindern – auch immer wieder Wörter aus dem gleichen Zusammenhang in ganz unterschiedlichen Körben. Und nur so ist es zu erklären, dass es im Deutschen bis heute der Mund, die Nase, das Auge sowie das Ohr, der Hals und die Stirn heißt.

Als Kind fand ich das absolut einleuchtend. 🙂

Aber da ich es liebe, Regelmäßigkeiten und Muster zu erkennen, habe ich mich damit doch im späteren Leben nicht zufrieden gegeben und doch ein paar Regeln gefunden, nach denen man mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit (Ausnahmen bestätigen dabei fast immer die Regel) das Geschlecht eines Wortes an seiner Endung erkennen kann.

So ist es recht wahrscheinlich, dass es sich bei Worten mit der Endung –ling (der Frühling), -ich oder –ig (der Teppich, der König), auf –el (der Vogel), -er (der Lehrer) oder -us (der Korpus) um maskuline Worte handelt.  

Ebenfalls hohe Trefferquoten erzielt die Annahme, dass man bei Worten mit den Endungen –ung (die Heizung), –schaft (die Belegschaft), –heit/-keit (die Gesundheit, die Fröhlichkeit), –tät (die Universität) und –ik (die Musik), –anz/-enz (die Akzeptanz, die Essenz), -ie (die Phantasie) und -e (die Flasche – prominente Ausnahmen: der Drache und das Auge) feminine Worte vor sich hat.

Typisch wiederum für neutrale Nomen sind die Endungen –um (das Universium), –ment (das Experiment) und –ma (das Thema) sowie immer die Verniedlichungsendungen -chen/-lein (das Mädchen, das Schneiderlein). Auch substantivierte Verben (das Sitzen, das Schreiben) sind immer sächlich.

Warum es aber die Uhr, der Stein oder das Buch heißt, ist ein weites Feld für Sprachforscher und Etymologen. Und ob das einen Einfluss auf die Wahrnehmung hat, weil wir unbewusst diesen Gegenständen entsprechend weibliche oder männliche Attribute zusprechen, hat sogar schon Forscher interessiert.

Bemerkenswert finde ich allerdings, dass im Deutschen im Gegensatz zu vielen Sprachen drumherum die Sonne weiblich und der Mond männlich ist.

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