Verschollen

Woher kommt eigentlich der Begriff „verschollen“? So fragten wir uns neulich beim Mittagessen.  Mmh. Klar, es sagt aus, dass jemand oder etwas mit unbekanntem Ziel verschwunden ist. Und es handelt sich um Partizip Perfekt Passiv.
Es hat nichts mit dem platten Fisch zu tun – aber vielleicht mit gefrorenem Wasser? Dass früher Seeleute auf einer Eisscholle davontrieben auf Nimmerwiedersehen? Nicht wirklich überzeugend.

Und wie lautet überhaupt die Grundform, das dazu passende Verb? Nachdenken brachte uns nicht weiter, es musste das etymologische Wörterbuch befragt werden (wahlweise Google, aber manchmal bin ich etwas altmodisch).

Siehe da: das „starke 2. Partizip des ungebräuchlichen Verbs verschallen (vgl. Schall) […] gilt seit Ende des 18. Jh.s als gerichtl. Ausdruck: verschollen ist, von wem man seit langem nichts mehr gehört hat und wer sich auf wiederholte öffentl. Aufforderung nicht meldet.“ Und dann kam mir auch die alte Gedichtzeile von Fontane in den Sinn:      
„Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll…“

Heute wird das Verb schallen in der unvollendeten Vergangenheitsform statt in der starken Form „scholl“ in der schwachen Form „schallte“ gebeugt: „Musik schallte vom Festplatz herüber.“ Da ist der Bezug zu „verschollen“ kaum noch erkennbar. Aber sollte mal wieder mein Geldbeutel verschwunden sein, werde ich ihn mehrfach öffentlich auffordern, sich zu melden, bevor ich ihn als verschollen bezeichne.

Ups…

Lesedauer: 5 Minuten

Mit meinen Kund*innen diskutiere ich schon seit einiger Zeit die korrekte Ansprache und Benennung von weiblichen und männlichen Kontakten – und habe nun mit Erschrecken festgestellt, dass ich selbst seit Jahren ganz selbstverständlich in meinem Claim die (größere) Hälfte der Bevölkerung ausklammere: „Damit aus Lesern Versteher werden„. 😮
Ja, auch ich habe früher immer damit argumentiert, dass ich die weibliche Form nicht brauche und mich trotzdem mitgemeint fühle (schließlich fühl(t)e ich mich als emanzipierte und moderne Frau). Bis ich vor knapp zwei Jahren in einem Frauennetzwerk aktiv wurde und gemerkt habe, wie angenehm es ist, immer als Frau angesprochen zu werden. Und dass es eine andere Sichtbarkeit bedeutet.
Denn: Das Gehirn versucht, jedes gelesene oder gehörte Wort mit Bildern zu verknüpfen. Es kann gar nicht ohne Bilder denken. (Versuchen Sie jetzt mal, NICHT an einen rosa Elefanten zu denken… Dazu habe ich sogar einen eigenen Post geschrieben.) Und wenn das Gehirn „Ärztin“ hört, erscheint eben (für den Bruchteil einer Sekunde) vor unserem inneren Auge ein anderes Bild als beim Wort „Arzt“, bei der „Köchin“ ein anderes Bild als beim „Koch“.

Seitdem setze ich mich dafür ein, die weiblichen Rollen auch in der Sprache sichtbar zu machen. Denn Sprache ist verräterisch, sie wird geformt nach dem, was den Menschen wichtig ist. Ob es für bestimmte Eigenschaften, Umstände oder Situationen ein eigenes Wort gibt, lässt erkennen, ob dieses so wichtig ist, dass man es nicht umständlich umschreiben will, sondern einen eigenen Begriff dafür (er)findet. So war es in der bäuerlichen Gesellschaft wichtig, bei den Nutztieren nach Männlein und Weiblein zu unterscheiden, beim Huhn nach Hahn und Henne, beim Schwein nach Sau und Eber. (Und bei manchen männlichen Tieren wurde sogar noch genauer hingeschaut, ob sie sich noch fortpfanzen können: Bei Pferden gibt es nicht nur Stute, sondern eben auch Hengst und Wallach, bei Rindern neben der Kuh den Stier und den Ochsen. Weil es wichtig war, im Hinblick auf Temperament und damit Nutzbarkeit des Tieres einerseits und Zuchtmöglichkeiten andererseits.)

Sichtbar im öffentlichen Leben waren über Jahrhunderte der Bäcker, der Metzger (je nach Region auch Schlachter oder Fleischer), der Müller und der Bauer. Die Frauen dahinter blieben im Haus und waren damit wenig präsent – auch in der Sprache.
Wirklich interessant wird es , wenn man sich auf die Suche nach explizit weiblichen Berufsbezeichnungen begibt: Hebamme, Krankenschwester, Prostituierte, Putzfrau und Zimmermädchen. Das waren über ähnlich lange Zeiträume die einzigen Berufe, in denen ausschließlich Frauen tätig waren. Und damit waren sie auch sichtbar und „verdienten“ eine eigene Bezeichnung.

Deshalb ist es jetzt dringend an der Zeit, der Sichtbarkeit von Frauen in der Öffentlichkeit die Sichtbarkeit in der Sprache (und damit im Gehirn aller Rezipient*innen) folgen zu lassen. Durch explizite Erwähnung von Ingenieurinnen, Medizinerinnen, Dachdeckerinnen und Mechanikerinnen.

Und was bedeutet das jetzt für meine Unterzeile? Ich gebe zu: „Damit aus Leser*innen Versteher*innen werden“ ist nicht mehr kurz, prägnant und sprachlich elegant. Dazu konnte ich mich nicht durchringen. Auch den Partizipialkonstruktionen bringe ich nur begrenzte Begeisterung entgegen: „Damit aus Lesenden Verstehende werden“ ist ähnlich sperrig. Und schließlich bin ich nicht nur eine Frau, sondern auch Sprachliebhaberin. Aber wie so oft kann man mit ein bisschen Nachdenken und Kreativität auf gute Lösungen kommen. Deshalb biete ich jetzt meine Arbeit an, „damit aus Lesen Verstehen wird“.

Aufgeesst!

Lesedauer: 2 Minuten

Ich bin immer wieder fasziniert vom kindlichen Spracherwerb. Mit welcher Leichtigkeit (und völlig ohne intellektuelle Kontrolle) dabei von Kleinkindern grammatikalische und sprachliche Regeln erkannt und ganz intuitiv angewendet werden. Zum Beispiel beim Konjugieren der Verben durch die Zeiten.

Bei regelmäßigen Verben wird im Deutschen in der ersten Person (also ich…) die einfache Vergangenheitsform durch Einfügen eines t gebildet: ich spiele – ich spielte. Das Partizip Perfekt Passiv (wichtig für die beiden anderen Vergangenheitsformen mit haben) wird durch die Vorsilbe ge- und ein -t am Ende gebildet: ich habe/hatte gespielt.

Dieses Muster wird von Zwei- bis Dreijährigen sehr schnell erkannt und konsequent angewendet: „Wir haben auf dem Bett getobt.“ Oder: „Ich habe Timmi einen Keks geschenkt.“ Die Trefferquote ist erstaunlich hoch, wenn man bedenkt, dass gerade die häufigsten und fundamentalen Tätigkeiten eines Kindes unregelmäßig gebildet werden: essen, aß, gegessen – trinken, trank, getrunken – laufen, lief, gelaufen – vorlesen, vorlas, vorgelesen – fahren, fuhr, gefahren – sehen, sah, gesehen.

Sollte Euer Kind deshalb bei seinen ersten Wörtern oder Sätzen mal stolz sagen: „Ich habe alles aufgeesst“, dann lobt es innerlich dafür, dass es die Regel schon erkannt hat und bestätigt liebevoll: „Stimmt, Du hast alles aufgegessen.“

Denn vielleicht wird irgendwann einmal aus diesem starken auch ein schwaches Verb, das nur noch regelmäßig gebeugt wird. So wie es dem Fragen und dem Backen bereits passiert ist, denn die Zeiten sind vorbei, in dem jemand nach einem Rezept frug und anschließend einen Kuchen buk

PS: Und um das auch noch klarzustellen: Niesen ist ein schwaches Verb, das als Partizip ganz regelkonform zu nieste, geniest gebeugt wird. Die Partizipialform genossen gehört zum Infinitiv genießen!

Zurück aus der Sommerpause

Lesedauer: 3 Minuten

Die Wortfrau meldet sich zurück aus der Sommerpause. Und nimmt das direkt zum Anlass, über eine wunderbare Fähigkeit der deutschen Sprache zu schreiben: nämlich beliebige Hauptwörter aneinander zu reihen ohne irgendeine Abhängigkeit oder Beziehung zu benennen, außer aus dem Kontext des letzten Wortteils. Dieser bestimmt das grammatikalische Geschlecht und den Zusammenhang des Kompositums (so der Fachbegriff). Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob ich von einer Weinflasche oder einem Flaschenwein spreche.

Doch nur aufgrund von Lebenserfahrung weiß ich, dass eine Glasflasche nichts über den Inhalt, sondern nur über das Material des Gefäßes aussagt. Eine Wasserflasche hingegen kann aus Glas, Kunststoff, sogar Metall sein. Und bei der Ballonflasche erfahre ich weder etwas über Inhalt noch das Material, sondern habe nur eine bestimmte Form vor Augen.

Zurück zur Sommerpause: üblicherweise ist damit die Pause von irgendetwas während des Sommers gemeint, zum Beispiel Fernsehsendungen, Politikbetrieb, Nutzung des Gehirns vor dem Posten auf Facebook (scnr).
Es könnte aber der erste Wortteil auch den Zweck näher benennen: Bei der Frühstückspause unterbreche ich meine Arbeit, um etwas zu essen. Also habe ich Pause gemacht, um den Sommer zu genießen? Ja, auch.

Bei der Arbeitspause hingegen mache ich Pause von der Arbeit. Aber Pause vom Sommer war es definitiv nicht, es gab reichlich Sonnenschein und warme Tage!

Oder könnte es sein, dass die Pause aus Sommer bestand, also etwas über den Inhalt oder die Beschaffenheit aussagt? So wie Sonnenblumenöl aus Sonnenblumenkernen gepresst wird. Ja, das Wetter der letzten Wochen bestand schon überwiegend aus sommerlichen Zutaten…

Aber was ist dann mit Babyöl? Glücklicherweise wird das nicht aus Babys gemacht.

Der erste Wortteil kann nämlich auch näher bestimmen, für wen etwas bestimmt ist. War also die Pause für den Sommer bestimmt, damit er sich mal vom Wetter erholen kann?

In den allermeisten Fällen werden uns unsere Lebenserfahrung und der Zusammenhang dabei helfen, bei Hundekuchen nicht Vierbeiner als Hauptzutat zu vermuten. Aber der beliebte Sandkuchen hat schon manchen kindlichen Sprachanfänger skeptisch gucken lassen. Manchmal kann es deshalb sinnvoll sein, die Wörter zu trennen, um Zweideutigkeiten zu vermeiden: Öl für das Baby; Flasche aus Glas; Pause, um zu pinkeln.

Die Überschrift dieses Beitrags würde ich dann wie folgt ändern: Zurück aus der Pause von der Arbeit, während der ich den Sommer genossen habe.:-)

#LebenWieSauerteig

Lesedauer: 2 Minuten

Unter diesem Hashtag hat die lebensbejahende Margaretha Schedler zu einer Blogparade eingeladen. Wir wurden aufgefordert, unsere Assoziationen zu „Das Leben ist wie Sauerteig“ aufzuschreiben.

Wenn ich mir aber das Hashtag #LebenWieSauerteig betrachte, kann es auch anders gelesen werden; und als Wortfrau beschäftige ich mich natürlich besonders gern mit den verschiedenen Bedeutungen von Worten. 🙂
Das Leben oder leben? Substantiv oder Verb, Analogie oder Aufforderung?

Ich entscheide mich für Letzteres, da mir kein pfiffiges Bonmot à la „Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel“ zum Sauerteig einfällt.

Aber was bedeutet es denn, zu leben wie ein Sauerteig? Muss ich mir da das Wort Sauerteig nicht auch nochmal genauer anschauen? Der Wortteil sauer als ein Gegenteil von süß bedeutet im übertragenen Sinn ja auch mühevoll, beschwerlich bzw. bei Menschen auch mürrisch oder unzufrieden. Mmh. Das möchte ich eigentlich nicht als Lebensmotto.

Aber: Sauer macht lustig, sagt der Volksmund.* Und in Zeiten vor Konservendosen und Gefriertruhen waren die Menschen heilfroh, dass man mithilfe von saurem Essig Lebensmittel haltbar machen und so den Winter überleben konnte. Ohne Sauerstoff** könnten wir schon im Sommer nicht überleben.
Also ein durchaus ambivalentes Wort, das sowohl negativ als auch positiv assoziiert wird, ja sogar dem Gas, das Grundlage allen Lebens ist, seinen Namen gegeben hat.

Ups, das hatte ich auf den ersten Blick gar nicht so erwartet, obwohl ich süß-sauren Gerichten sehr zugetan bin und durchaus die Akzente von Säure beim Essen zu schätzen weiß.

Nicht von heute auf morgen

Im Sauerteig wiederum sorgen die Hefen dafür, dass sich Säuren bilden und daraus Kleinstlebewesen, die durch ihren Stoffwechsel für die lockere Konsistenz und den würzigen Geschmack des fertigen Brotes verantwortlich sind.
Doch das passiert – und das darf wörtlich genommen werden – nicht von heute auf morgen. Es braucht seine Zeit. Durch Achtsamkeit und Wärme kann die Entwicklung unterstützt werden, durch Vernachlässigung und Kälte verlangsamt sich der Prozess oder kommt gar ganz zum Erliegen. Angeblich soll Einfrieren zur Konservierung möglich sein, doch fürchte ich um bleibende Schäden oder zumindest Einbußen bei der Qualität – beim Teig wie im Leben.

Andere Menschen zum Lachen bringen, ihnen beim (Über)Leben helfen, achtsam und wärmend, mit der nötigen Muße und Gelassenheit und hinterher ein wohliges Gefühl der Sättigung hinterlassend – so will ich leben wie ein Sauerteig. Guten Appetit!

*Die Redewendung hieß ursprünglich Sauer macht gelüstig und bezog sich darauf, dass säuerliche Lebensmittel den Appetit anregen. Tatsächlich gelten Säuren im Essen als appetit- und geschmacksfördernd. Zudem wirken sie positiv auf die Verdauung.

**Das chemische Element erhielt seinen Namen aufgrund des sauren Charakters vieler Oxyde vom französischen oxygéne für „Säuremacher“.

Pinker Holunderblütenduft II

Lesedauer: 1 Minute

Wobei wir direkt beim zweiten Fauxpas wären: kann ein Duft pinkfarben sein (außer in Comics und Animationsfilmen)? Eher nicht. Gemeint sind die rosafarbenen Blüten des Holunderstrauchs. Aber die wunderbare Eigenschaft der deutschen Sprache, beinah beliebige Wörter kombinieren zu können (mit immer wieder neuen Herausforderungen zu Getrennt-Zusammenschreibung), führt mitunter auch dazu, dass Begriffe in falsche Beziehung gesetzt werden.

Die Regel: Inhaltlich beschreibt ein vorangestelltes Adjektiv bei einem zusammengesetzten Wort immer dessen letzten Teil (genauso wie dieser übrigens das Geschlecht des Gesamtwortes bestimmt): die ergonomische Computertastatur, das dreilagige Toilettenpapier. Das leuchtet an vielen Stellen ein und niemand würde von beißenden Hundebesitzern oder einer klingelnden Telefonschnur sprechen.

Aber wie immer im Leben gibt es nicht nur Schwarz-Weiß: beim sauren Apfelkuchen könnte die Eigenschaft der Äpfel auf den ganzen Kuchen eingewirkt haben, eine kaputte Telefonzelle könnte nicht nur einen defekten Apparat, sondern auch eine eingeschlagene Tür haben. Auch sind wir recht tolerant und wissen aus Erfahrung, dass die grüne Pfeffersoße auf der Speisekarte eine helle Soße mit grünen Pfefferkörnern ist (und wären wohl sehr irritiert, wenn uns tatsächlich eine scharfe grüne Soße serviert würde). Auch bei abstrakten Begriffen, die es schwer machen, im Gehirn ein Bild zu erzeugen, merken wir den falschen Bezug oft gar nicht: atlantische Tiefausläufer schaffen es immer mal wieder in die Wettervorhersage.

Der Verzicht auf den vermeintlich gespreizten Genitiv führt zu inhaltlichen Ungenauigkeiten, die im besten Fall unfreiwillig komisch, aber oft ärgerlich und unnötig sind. Wäre es tatsächlich so schlimm, auf das Duschgel zu schreiben: mit Rosenwasser und dem Duft pinkfarbener Holunderblüten?*

*Wobei das jetzt eine Interpretation meinerseits ist – es könnte auch nur der Duft von Rosenwasser sein – ebenfalls ein Fall von Sprachverschleierung.

Pinker Holunderblütenduft?!

Lesedauer: 1 Minute

Manchmal glaube ich, dass Werbetexter die natürlichen Feinde der Sprachliebhaber sind (dicht gefolgt von Bürokraten, Juristen und Verwaltungsbeamten). Aber in zwei Worten gleich zwei Regeln nicht zu beachten, ist schon fast wieder eine Kunst!
Und gibt mir die Möglichkeit, gleich zwei Blogbeiträge (hier geht’s zum zweiten) zu schreiben, denn jede Regel für sich ist definitiv einen Post wert.

Beginnen wir mit dem ersten Wort. Tatsächlich kann man im Deutschen nur die Grundfarben sowie schwarz, weiß und grau beugen (=deklinieren): das rote Haus, den blauen Himmel, in dem grünen Wald. Alle anderen Farbzwischentöne (deren Namen häufig von Substantiven abgeleitet sind) werden beim Wandern durch die Fälle grammatikalisch korrekt nicht verändert: die rosa Wolke, der anthrazit Pullover, die pink Blüte.

Okay, gerade die beiden letzten klingen einfach falsch in den Ohren – deshalb darf und sollte man sich mit einem „Wordaround“ helfen: der beigefarbene Teller, die fliederfarbene Tischdecke. Das Anhängen von -ne (lilane) oder -e (orange) mag verlockend sein, ist aber falsch. Auch, wenn sich rosane Leggins in der Alltagssprache fest etabliert haben, sollte man im geschriebenen Wort darauf verzichten. Ebenso auf den pinken Duft.

(Wen es interessiert: Das Wort pink geht übrigens auf das englische Wort für Nelke zurück. Und noch mehr Beispiele für Farbbezeichnungen hat der wunderbare Kollege Bastian Sick schon 2014 in seiner Zwiebelfisch-Kolumne gesammelt.)

Hätte, hätte…

Lesedauer: 1 Minute

2020 wird als Jahr des Konjunktivs in die Geschichte eingehen. Nun, würde es vielleicht, wenn es Covid-19 nicht gegeben hätte. Aber dann wäre es auch kein Jahr der Konjunktive geworden. Womit wir schon mitten beim Thema wären: Spätestens jetzt im Mai denke ich bei jedem Blick in den Kalender: Heute hätten wir… Nächste Woche wären wir…

Und da behauptet doch mein Grammatikbuch: „Im Vergleich mit den indikativischen Formen stellen konjunktivische eher die Ausnahme dar.“ (Gut, der Duden ist aus der Vor-Coronazeit – ich möchte behaupten, es war noch nie so viel Hätte, hätte wie heute.)

Dieser so genannte Konjunktiv II drückt „Irrealitäten und Potenzialitäten“ aus und (ich muss einfach nochmal den Duden zitieren) er „dient als Zeichen dafür, dass der Sprecher/Schreiber seine Aussage nicht als Aussage über Wirkliches, über tatsächlich Existierendes verstanden wissen will, sondern als eine gedankliche Konstruktion…“ Mmh. Bis vor acht Wochen waren Eintrittskarten für ein Fußballspiel der Euro 2020 oder das Festival Rock am Ring doch deutlich mehr als eine gedankliche Konstruktion?! Aber nun sind sie nur noch Fiktion, gebunden an den Konditionalsatz „Wenn der Virus nicht wäre, dann könnten wir …“

Hätte, hätte, Fahrradkette… sagt der Volksmund lapidar, um zu beschreiben, dass das Geschehene nun mal nicht zu ändern ist. Aber wenigstens  habe ich jetzt nochmal nachgeschlagen, dass dieser – im Jahr 2020 doch sehr häufig genutzte – Konjunktiv auch Cuniunctivus irrealis oder Coniunctivus potentialis genannt wird.

Und was ist mit dem Konjunktiv I (ich sei, er möge, du habest)? Er wird besonders oft und regelmäßig in der indirekten Rede gebraucht, zum Beispiel in Zeitungsartikeln oder sonstigen Berichten über vergangene Ereignisse. Und außerdem in mathematischen Fachtexten, in Anweisungen und Anleitungen wie zum Beispiel Kochrezepten: „Man nehme 500 g Mehl…“

Eine Verbeugung vor der Sprache

Lesedauer: 3 Minuten

Wir tun es täglich, ohne dass es uns bewusst ist – wir (ver)beugen uns vor der Sprache. Denn ohne die Beugung (Lat. Deklination) von Substantiven funktioniert die deutsche Sprache nur halb so gut (und sie ist eine der großen Herausforderungen für alle, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernen).

Je nachdem, welche Rolle wir einem Wort zuweisen, müssen wir seine Endung ändern (zumindest beim Artikel). Der Mann liebt die Frau ist eben eine andere Aussage als Die Frau liebt den Mann (vom Inhaltlichen mal ganz zu schweigen… ;-).

Im Deutschen gibt es vier Rollen, genannt Fälle, die Substantive einnehmen können. Der Nominativ spielt quasi die Hauptrolle, jede handelnde Person, Subjekt genannt, wird im Nominativ gebildet: „Der Mann liebt.“ (Oder im Plural „Die Männer lieben“.)
Die wichtigsten Nebenrollen haben der Akkusativ und der Dativ inne. Denn jedem Verb im Deutschen wird ein nachfolgendes Objekt (der Handlung) zugewiesen, entweder im Akkusativ oder im Dativ. Wen oder was liebt der Mann? fragt nach dem Akkusativ. Wem gehört die Liebe des Mannes? fragt nach dem Dativ.

Aber nicht nur für jedes Verb gibt es einen festgelegten Folgefall, auch Präpositionen (Verhältniswörter, z.B. an, auf, unter) ist in der Regel festgelegt, welcher Fall zu folgen hat. Nettes Gimmick der deutschen Sprache: Man kann bei vielen Präpositionen am Fall unterscheiden, ob man einen Ort oder eine Richtung ausdrücken will. Die Richtung wird mit Akkusativ gebildet, der Ort mit Dativ. Ich gehe auf die Straße (Richtung), aber Ich gehe auf der Straße spazieren (Ort). Das Publikum sitzt vor dem Vorhang (Ort), die Schauspieler treten vor den Vorhang (Richtung).

Doch zurück zu den Fällen, denn da fehlt doch noch einer? Vor fast 20 Jahren setzte Bastian Sick mit seiner Zwiebelfisch-Kolumne und der daraus folgenden Buchreihe Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod dem zweiten Fall, dem Wes-Fall, ein literarisches Denkmal. Und tatsächlich kommt der Genitiv etwas gespreizt daher. Er verweigert Verben die plumpe Gefolgschaft und auch bei Präpositionen behält er sich eine kleine, aber feine Gesellschaft vor (während, in Folge, wegen, um… Willen). Der Wes-Fall kennzeichnet hauptsächlich Zugehörigkeiten (und wird da umgangssprachlich häufig von „dem seine“ ersetzt). Ein minimaler Satzbau kommt deshalb häufig ohne ihn aus. Hinzukommt, dass Behörden und Institutionen den Genitiv lieben (vor allem in Kombination mit Substantivierungen), was dazu beiträgt, Genitiv-Konstruktionen als monströs und wenig konkret zu empfinden: die Anordnung der Aufhebung des Erlasses… verführt niemanden zum Weiterlesen. Dabei tut man dem armen Genitiv ein wenig Unrecht, denn eigentlich will er doch nur auf prägnante Weise Beziehungen deutlich machen: Der Mann liebt die Herzensgüte der Frau.

Texte sind Kino im Kopf

Lesedauer: <1 Minute

Ich habe es ja schon mal kurz angedeutet: Jedes gelesene Wort erzeugt sofort ein Bild im Kopf. Und das gilt nicht nur für Romane und Gedichte, sondern auch für Sachtexte oder kurze Beschreibungen auf der Internetseite.
Wie das funktioniert, zeige ich hier mal an dem Beispiel einer recht abstrakten Ausgangsinformation, die je nach verwendeten Synonymen oder auch zusätzlichen beschreibenden Adjektiven ganz unterschiedliche Bilder und Stimmungen beim Leser erzeugt.

Die Ausgangsinformation: An einem Waldrand steht ein Gebäude.

Varianten:

  • Am Rand des Tannenwaldes steht ein Haus.
  • Fröhlich leuchten die roten Fensterrahmen des Einfamilienhauses vor dem Hintergrund des sattgrünen Buchenwaldes.
  • Die elegante Villa am Waldrand besitzt 20 Zimmer.
  • Wie ein verwunschenes Hexenhaus duckt sich die Kate unter die Bäume des Waldrands.
  • Die eingefallenen Ruinen der Fabrik locken Tiere und Vögel aus dem nahegelegenen Wald.
  • Vier Fenster hat das Haus nach vorne, mit denen es Besucher freundlich anschaut. Der hintere Teil ist wegen des umgebenden Waldes noch nicht zu erkennen.
  • Die gehobene Immobilie in ruhiger Lage mitten in der Natur wurde im Jahr 1980 erbaut.
  • In der mondlosen Nacht ist die heruntergekommene Baracke vor den dunklen Schatten der Tannen und Fichten kaum zu erkennen.
  • Das ehemalige Heim der Familie ist mittlerweile von den Ausläufern des nahen Waldes fast vollständig umgeben.
  • Ein mondänes Herrenhaus in viktorianischem Baustil erhebt sich vor der Silhouette des nahen Eichenwalds.

Fallen Euch noch weitere Varianten ein?

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